„Der Trafikant“ von Robert Seethaler
Das Buch „Der Trafikant“ von Robert Seethaler liegt schon länger in meinem Ungelesen-Regal. Welch Frevel! Dafür präsentiere ich es Ihnen nun als mein Buch des Monats. „Der Trafikant“ ist im Verlag Kein & Aber erschienen, das Taschenbuch kostet 12 Euro.
Vielleicht geht es Ihnen wie mir: Ich konnte mit dem Wort „Trafikant“ nichts anfangen. Dabei lässt sich das mit zwei Klicks leicht erklären: Erstens ist ein Trafikant der Inhaber einer Trafik, und zweitens ist eine Trafik im Österreichischen ein Laden für Zeitungen und Tabakwaren. Drittens hat mich dieser Titel angeregt, über den Unterschied von -and und -ant zu twittern.*
Worum geht es in „Der Trafikant“?
Zurück zum Buch: In eben eine solche Wiener Trafik kommt der 17-jährige Franz Huchel. Die Mutter schickt ihren Sohn zu einem ehemaligen Geliebten in die Großstadt. Daheim in Nußdorf am See sieht sie keine Zukunft für ihn. Ein Blick auf seine Ankunft (Seite 21):
„Bist von weit hergekommen?“, fragte die kleine Dame.
„Von zuhause.“
„Das ist sehr weit. Da fährst am besten gleich wieder zurück!“
[…]
„Blödsinn!“, sagte Franz. „Es gibt kein Zurück, und außerdem gewöhnt man sich an alles.“
Franz gewöhnt sich an die Trafik von Otto Trsnjeks. Er gewöhnt sich ans Zeitunglesen, an die Arbeit in der Trafik, an die Großstadt. Er verliebt sich hemmungslos, leider in die Falsche. Und leider kommt Franz im Jahr 1937 in Wien an. Kein gutes Jahr für einen liebenswerten, anfangs noch recht naiven jungen Mann aus dem Salzkammergut.
Sigmund und Franz
Gerade dann ist 1937 auch kein gutes Jahr, wenn Robert Seethaler seinem Protagonisten Sigmund Freud an die Seite stellt. Der junge Trafikantenbursch und der alte Professor freunden sich an. Ich lasse Sie an einem Gedanken von Franz teilhaben (S. 141):
„Könnte es vielleicht sein, dass Ihre Couchmethode nichts anderes macht, als die Leute von ihren ausgelatschten, aber gemütlichen Wegen abzudrängeln, um sie auf einen völlig unbekannten Steinacker zu schicken, wo sie sich mühselig ihren Weg suchen müssen, von dem sie nicht die geringste Ahnung haben, wie er aussieht, wie weit er geht und ob er überhaupt zu irgendeinem Ziel führt?“
Freud verlässt Wien, der Trafikant Otto wird verhaftet. Franz übernimmt die Trafik und reift zu einem jungen Mann mit Rückgrat heran. Ob ihm das etwas nützt?
Fazit: Ein Buch, das den Anschluss an Österreich von unten erzählt. Sein Personal besteht aus wenigen Menschen, das macht die Geschichte, das Buch umso dichter. „Der Trafikant“ hat mich, auch sprachlich, sehr berührt.
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