„Kühn hat zu tun“ …
… von Jan Weiler ist mein Buch des Monats. Ich hätte geschworen, es schon einmal besprochen zu haben. Doch ich hatte es nur auf Twitter empfohlen, nicht aber verbloggt. Das hole ich nach, weil es ein unterhaltsames Buch ist: spannende Geschichte, schöne Sprache und mit einem Schluss, der meine Hassliebe für Happy Ends befriedigt.
Martin Kühn, die Hauptfigur, lebt mit seiner Frau Susanne, Tochter und Sohn in einer Neubausiedlung am Münchner Stadtrand. Er ist durch und durch Polizist, auch wenn er immer wieder darüber nachdenkt, warum sein Gehalt gerade mal so zum Leben reicht. Überhaupt, ein Großteil der Geschichte spielt sich in Kühns Kopf ab. Der Kontrast zwischen dem toughen Polizisten-Kühn und dem etwas wirren Gedanken-Kühn macht einen Reiz dieser Geschichte aus.
„‘Ich denke in letzter Zeit oft an früher‘, sagte er, um ihr und sich die Frage nach dem kleinen Adrian zu erklären. ‚Manchmal hab ich das Gefühl, es würde da etwas festhängen.‘
‚Wie meinst du das?‘, fragte Susanne und griff herausgefordert nach der Schokolade.
‚Ich kann es dir nicht erklären. Aber mir kommen ständig Bilder in den Sinn. Aus meiner Kindheit und später. Und wenn ich versuche, sie in einen Zusammenhang zu bringen, dann schlüpfen sie weg.“
Die Geschichte: Eines Tages wird ein alter Mann tot hinter Kühns Garten gefunden, keine 30 Meter von seinem Gartentor entfernt. Ein Zufall? Doch mit diesem Mord werde ich als Leserin erst später konfrontiert. Zunächst erfahre ich mehr über die Neubausiedlung, die Weberhöhe.
Wie man sich doch täuschen (lassen) kann: Robert Weber hatte im Zweiten Weltkrieg eine Munitionsfabrik. Als ihm bewusst wird, dass der Krieg verloren ist, jagt er sich und seine Fabrik in die Luft und hinterlässt der Münchner Erde ein schönes Schlamassel. Allerdings wusste er nicht, dass die Zwangsarbeiter in seiner Munitionsfabrik systematisch Schrott hergestellt hatten. Alle Unterlagen sind verbrannt, die Zwangsarbeiter geflohen. So kommt es, dass Robert Weber als der „gute Nazi“ in die Münchner Stadtgeschichte eingeht, der scheinbar unnütze Munition hergestellt hat. Ein Missverständnis, das sich durch das ganze Buch zieht und dem Roman eine zusätzliche Ebene gibt.
Dann lerne ich Kühn kennen. Streife seine Jugend, lese seine Gedanken und begegne ihm im Dienst. Als Polizist ist er hartnäckig, gerade knöpft er sich einen jungen Mann vor, dessen Opa tot aufgefunden wurde.
Die Geschichte lässt sich Zeit, ich bin nicht mit einem Plopp mittendrin, ich gleite langsam hinein. Und immer wenn Kühn zur Ruhe kommt, etwa in der Bahn auf dem Nachhauseweg, hüpfen seine Gedanken hin und her: „Ich habe Milchreis im Kopf. Dampfender Milchreis, Gedankenschlieren. Ist das die Spiritualität? […] Oder ich brauche Bewegung, aber dann läuft mir der Milchreis zu den Ohren raus.“
Zurück in Kühns Alltag: ein Plausch am Freitagabend mit seinem Nachbarn, dem er erzählt, dass ein Mädchen verschwunden ist. Am nächsten Tag kauft er im Baumarkt Blumenerde, dann ist endlich Wochenende. Halt, da klingelt das Telefon, der Tote hinter Kühns Gartentor wird entdeckt, die Geschichte beginnt und Kühn hat plötzlich viel zu tun.
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