Von Kaffeeriechern, …
… Abtrittanbietern und Fischbeinreißern – dieses Buch ist mein Beitrag für die Buchblogparade von Eva Maria Nielsen.
Word unterkringelt „Abtrittanbieter“, kennt es nicht. Geht es Ihnen genauso? Der Untertitel verrät mehr: „Berufe aus vergangenen Zeiten“ hat die Autorin Michaela Vieser aufgespürt, die Illustratorin Irmela Schautz hat sie bebildert, erschienen ist es 2012 im Pantheon-Verlag.
Ein Buch über ausgestorbene Berufe lesen?
„Berufe öffnen ein Fenster in die Lebenswelt der damaligen Zeit“, so die Autorin im Vorwort. Sie listet alphabetisch sortiert 24 vergangene Berufe von A wie Abtrittanbieter bis Z wie Zeidler auf. Ihr geht es nicht um die akribische Darstellung beispielsweise der Technik oder der Handfertigkeit des jeweiligen Berufes. Vielmehr treibt sie die Frage um, warum es diesen Beruf damals gab und heute nicht mehr.
Es ist ein vergnügliches Buch, das kunterbunt durch die Geschichte führt und bei dem viele Gedanken in meinem Kopf aufblitzen. Ich denke an „Lemmi und die Schmöker“ und an „das Medium ist die Botschaft“. Ich weiß jetzt, woher das Blaumachen stammt, was es mit dem Spruch „Geld stinkt nicht“ auf sich hat und vieles mehr. Jede Menge unnützes Wissen, das ich auf Partys oder bei Günther Jauch verbraten könnte, wunderbar!
Was ist denn nun ein Abtrittanbieter?
Könnten Sie auf die schönen und detailreichen Illustrationen blicken, wüssten Sie das sofort. Nun haben Sie das Buch aber nicht vor sich liegen. Deshalb gebe ich Ihnen schnell die Kurzbeschreibung durch, eine solche wird jedem Beruf vorangestellt:
Männlicher oder weiblicher Anbieter einer öffentlichen Toilette, zum Beispiel auf Messen oder Märkten, bevor es öffentliche Toilettenanlagen gab
KENNZEICHEN: langer Mantel, zwei Eimer, starker Geruch
AKTIVE ZEIT: Mitte des 18. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts
So, nun wissen Sie das auch. Und wenn Ihnen jemand wieder einmal erklärt, dass früher alles besser war, können Sie demjenigen getrost ein „Ha, Abtrittanbieter“ um die Ohren werfen.
Lesenswert ist dieses Buch auch wegen des vergnüglichen Tonfalls, den Michaela Vieser anschlägt, hier eine Leseprobe aus dem Beruf des Lichtputzers:
Bei den alten Griechen erübrigte sich die Frage, wie die Bühne zu beleuchten sei. Das Schauspiel fand im Freien statt, an helllichten Tag. Erst als das Theater in dafür geschaffene Gebäude zog, dämmerte es den Machern, dass ein Dach über dem Kopf zwar vor den unsteten Wetterverhältnissen schützte, dafür aber andere Fragen aufwarf: zum Beispiel die der Beleuchtung.
Lemmi und die Schmöker und McLuhan grüßen
Mein längst vergangener Lieblingsberuf ist der der Rohrpostbeamtin und noch gar nicht so längst vergangen. Rohrpost – wussten Sie, dass in vielen Städten die Postämter durch unterirdische Gänge verbunden waren? Die Geschichte der Rohrpost begann 1863 in England und endete 1984 in Paris. Die Rohrpost, kleine Kapseln mit einer Nachricht bestückt, wurde in die Gänge gelegt und per Druckluft zu einem anderen Postamt geleitet. Lemmi und die Schmöker winken herzlich rüber.
Da eine Rohrpost nicht deutlich teurer war als ein normaler Brief, wurde sie gerne genutzt. Durch die schnellere Rohrpost veränderte sich die Kommunikation. Anstelle der längeren, ausgefeilten Briefe wurden nun auch kürzere Nachrichten mit einem anderen Sprachstil modern. Marshall MacLuhan lässt grüßen.
Zunächst war in Deutschland der Beruf männlich, Frauen hatten im deutschen Postwesen nichts zu suchen. Eine Ausnahme war das „Fräulein vom Amt“, das Telefonate vermittelte. Michaela Vieser erklärt dies mit dem angenehmeren weiblichen Tonfall: „Es war nicht zu überhören, dass ein weiblich gehauchtes ‚Ich verbinde‘ so viel angenehmer war als dieselben Worte im männlich-preußischen Befehlston.“
Spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Rohrpostanlage auch von Frauen bedient – und damit verlasse ich die Rohrpostbeamtin und lege Ihnen dieses Buch ans Herz.
Ach, was für ein toller Beitrag und was für ein spannendes Buch! Ich liebe solche kleinen Details über vergangene Lebenswelten und bewundere darum so sehr gut recherchierte historische Romane. Ich danke dir für den Tipp. Grüsse aus København!
Es ist wirklich schön und lässt sich durch die Kürze der „Geschichten“ auch gut nebenbei lesen. Gruß aus Hannover gen Norden – Andrea