Geschlechtliche Vielfalt und positive Nebeneffekte
Am 18. Januar hat die Stadt Hannover eine „Empfehlung für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache“ herausgegeben. Von außen betrachtet reichten die Reaktionen von „prima, wird Zeit“ bis „habt ihr nichts anderes zu tun“ und schlimmer.
Gut ein halbes Jahr später konnte ich mich mit Maren Gehrke austauschen. Sie ist stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Hannover.
Andrea Görsch: Frau Gehrke, mit welchen Reaktionen rechneten Sie, als die Empfehlung für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache herausgegeben wurde?
Maren Gehrke: Wir haben durchaus mit kritischen Reaktionen und Anfeindungen gerechnet, und auch mit Skepsis seitens der Mitarbeiter*innen. Gerade diese haben aber eher gelassen reagiert und uns konkrete Fragen gestellt und um Unterstützung bei Unklarheiten gebeten. Das heißt nicht, dass es innerhalb der Verwaltung keine Kritik gab, diese wurde aber konstruktiv geäußert. Das öffentliche und mediale Interesse sowie die vielen hassgeladenen Kommentare haben uns dann doch überrascht.
Andrea Görsch: Auch überregional wurde die Empfehlung beachtet. So titelte etwa die Süddeutsche Zeitung in ihrem Magazin: „Aus Hannoveranern werden Hannoveraner*innen“. Rechneten Sie mit überregionalen Kommentaren? Hat die Stadt Hannover darauf reagiert? Wenn ja, wie?
Maren Gehrke: Mit einer solchen Fülle überregionaler Berichterstattung haben wir nicht gerechnet. Von Flensburg bis Wien war alles vertreten. Neben den Medienberichten kamen aber auch viele Zuschriften von Gegner*innen der Empfehlung nicht aus Hannover. Seriöse Kritiken und Nachfragen haben wir mit einem Schreiben beantwortet. Für die vielen positiven Zuschriften haben wir uns bedankt. Und natürlich haben wir sehr, sehr viele Interviews gegeben und Presseanfragen beantwortet.
Andrea Görsch: Was meinen Sie steckt hinter der manchmal großen Aufregung, die eine geschlechtergerechte Sprache und der Gender-Star auslösen?
Maren Gehrke: In aller erster Linie vermute ich dahinter Engstirnigkeit und Angst. Scheinbar ist es für viele Menschen nicht möglich, den Gedanken daran zuzulassen, dass es nun mal mehr als zwei Geschlechter gibt und alle das Recht auf eine respektvolle Ansprache haben. Viele haben auch Sorge vor Gleichmacherei, genau das bezweckt geschlechtergerechte Sprache aber nicht. Im Gegenteil vereinfacht sie eine korrekte individuelle Ansprache. Und wenn ich bedenke, dass ein Großteil der beleidigenden Zuschriften von Männern kamen, die behaupteten, dass Männer nun diskriminiert werden würden, dann scheint da Panik zu herrschen, die gesellschaftliche Vormachtstellung zu verlieren. Interessanterweise behaupten die Gleichen, das generische Maskulinum würde Frauen nicht diskriminieren …
Andrea Görsch: Nun scheinen in Hannover alle die Einführung der geschlechtergerechten Sprache überlebt zu haben. Die Aufregung hat sich gelegt. Wie werden die Empfehlungen im Alltag angenommen?
Maren Gehrke: Die Umsetzung erfolgt bisher sehr solide. Viele Fragen haben sich geklärt und wir verfolgen einen pragmatischen Umgang mit dem Thema. Gerade bei Rechts- und Gesetzestexten ist die Umsetzung mitunter nicht möglich – und wird dann auch nicht vorgenommen. An vielen anderen Stellen haben sich positive Nebeneffekte ergeben. Zum Beispiel hat die Überarbeitung von Formularen in einigen Bereichen dazu geführt, genau zu überprüfen, ob all diese Formulare eigentlich gebraucht werden. Viele wurden dann auch verschlankt oder zusammengefasst. Vor allem werden die Empfehlungen umgesetzt und das ist die Hauptsache.
Andrea Görsch: Eine Empfehlung auszusprechen ist eine Sache, das Befolgen eine andere. Wie haben Sie die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung auf die geschlechtergerechte Empfehlung vorbereitet?
Maren Gehrke: Die Empfehlungen wurden von Kolleginnen aus unterschiedlichen Bereichen erarbeitet, sodass eine Praxisnähe eh gegeben war. Viele haben zuvor schon unterschiedliche geschlechtersensible Schreibweisen genutzt: den Gender-Star, den Gender-Gap o. Ä. Dies ist nun vereinheitlicht worden. Wir stehen allen Kolleg*innen für Fragen zur Verfügung und haben bereits eine erste Fortbildung zum Thema durchgeführt.
Andrea Görsch: Was versprechen Sie sich mittel- und langfristig von der Einführung einer geschlechtergerechten Sprache?
Maren Gehrke: Vor allem erhoffen wir uns eine Sensibilisierung dafür, dass sich nicht alle Menschen den Kategorien „Frau“ oder „Mann“ zuordnen können und dass das völlig in Ordnung ist. Geschlechtliche Vielfalt ist Alltag und das muss anerkannt werden.
Herzlichen Dank, Frau Gehrke, für das Interview!
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