„Alles Licht, das wir nicht sehen“
Der Roman „Alles Licht, das wir nicht sehen“ von Anthony Doerr ist mein Buch des Monats. Es ist 2016 bei btb erschienen und auch als Taschenbuch für 10,99 € erhältlich, übersetzt hat es Werner Löcher-Lawrence.
Worum geht es in „Alles Licht, das wir nicht sehen“?
Anthony Doerr verbindet in seinem Roman die Geschichten von zwei jungen Menschen: die der blinden Marie-Laure aus Frankreich und die des Waisen Werner aus dem Ruhrgebiet. Spannend wird das Buch, weil es in den 1930er und 1940er Jahren spielt. Ich gestehe, dass ich skeptisch war: Ausgerechnet ein Amerikaner, geboren 1973, schreibt einen Roman mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg als Hintergrund? Kann das gutgehen? Es kann.
Die Geschichte funktioniert aus mehreren Gründen: Die über fünfhundert Seiten sind in viele kleinere Kapitel aufgeteilt. Zudem springt der Roman in den Zeiten: August 1944, 1934, zurück zum August 1944, eine Rückblende zum Juni 1940 usw. Es wird ein Handlungsrahmen aufgebaut, der nach und nach gefüllt wird. Diese nichtlineare Erzählstruktur gibt dem Lesenden immer wieder einen kleinen Vorsprung und macht gleichzeitig neugierig auf den weiteren Fortgang der Geschichte. Als einen besonderen Kunstgriff empfinde ich den letzten Sprung in das Jahr 1974. So wird zwar nicht in die Gegenwart verlinkt, aber doch sicherlich in die Kindheit mancher Leser*innen. Das macht die Geschichte für heutige Leser*innen greifbar. Und schließlich ist das Buch gut recherchiert.
Fazit: Lesenswert für alle, die gern in die Geschichte des 20. Jahrhunderts und in Geschichten generell eintauchen möchten.
Endlich geht mal eine Rezensentin auf die Struktur ein und zeigt, wie wichtig ein kluges Strickmuster für den Wert eines Buches ist. Ich habe daraufhin gleich mal bei Amazon den „Blick ins Buch“ gewagt, mich von dem oft atemlosen Schreibstil (Präsens) anstecken lassen und anschliessend den ganzen Roman auf meinen Kindle geladen. Das passiert mir selten bis nie, dass mich eine Rezension so überzeugt. Danke für den Tipp!
Sehr gern! Ich hoffe, es gefällt (freue mich gelegentlich über eine Rückmeldung).
Mach ich. Versprochen!
Eine Wochenendlektüre sind die 520 Seiten von Anthony Doerr wahrlich nicht. Jetzt, mehr als zwei Wochen später, lege ich das Buch weg und bin tief befriedigt. Ich bewundere, wie dieser Meister schreiben kann. Der nicht-lineare Aufbau mit seinen zeitlichen Vor- und Rücksprüngen ist ziemlich genial. Von der ersten Seite an weiss man, dass Schreckliches passieren wird, und natürlich hofft man, dass es trotzdem gut ausgeht. Die Figuren der Geschichte sind so gut gezeichnet, dass man manchmal meint, in ihrer Haut zu stecken. Ich mag seinen meist lakonischen Schreibstil, Hauptsatz an Hauptsatz. Es ist meisterhaft, wie er allein durch die Satzlängen das Tempo steigern oder herausnehmen kann, ganz wie er es braucht. Und wie er uns in die Szenerie mitnimmt – noch nie ist mir ein Kriegsroman so unter die Haut gegangen. Doerr ergreift nicht Partei, klagt nicht an, verurteilt nicht. Er sagt, wie es ist, und dadurch wird alles erst so richtig schlimm.
Erwähnt werden muss auch Werner Löcher-Lawrence. Er kann so gut mit Sprache umgehen, dass man nie das Gefühl hat, eine Übersetzung zu lesen. Danke, Frau Görsch, für diese Buchempfehlung! „Alles Licht, das wir nicht sehen“ ist eines der besten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Mit Abstand!
Danke, Herr Richter, für Ihre Antwort, die zudem noch so ausgefeilt ist! In der Tat dachte ich öfter an Sie und daran, ob Ihnen das Buch gefallen wird. Es freut mich, dass Sie ebenso angetan sind wie ich.