Kalender, Küche und Klassensprecherin
Für diesen Beitrag stehe ich in der Küche und vermenge Annemarie Renger mit einer längst vergangenen Wahl zur Klassensprecherin, lasse Blumen links liegen und füge viele Prisen aufmunternde Gedanken hinzu. Herauskommt – ach, lesen Sie selbst.
Seit geraumer Zeit schenkt mir mein Lieblingsmann zu Weihnachten einen Kalender. Meist ist es ein Literaturkalender. In diesem Jahr ziert der „Ich bin Ich“-Kalender mit „Gedanken berühmter Frauen“ unsere Küche. Ich mochte sie bislang alle, doch ein Kalenderblatt hat mich besonders berührt:

Ich bin Ich. Gedanken berühmter Frauen, Harenberg Kalender 2018, © KV&H Verlag GmbH, D-82008 Unterhaching
Eine lässig-souveräne Annemarie Renger sitzt am Steuer eines Autos und lacht – nein, nicht hauptsächlich freundlich – eher verschmitzt und selbstbewusst in die Ferne. Bemerkenswert ist für mich der Gedanke von Annemarie Renger, der dem Foto zugeordnet ist:
Ich habe mich in der Fraktion selber für das Amt des Bundestagspräsidenten vorgeschlagen. Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?
„Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?“
Annemarie Renger wird oft als die Grande Dame der SPD bezeichnet, in den 1970er Jahren war sie eine der bekanntesten Frauen in der Politik – und gleichzeitig eine der wenigen. In den 1970er Jahren waren nur zwischen fünf und sieben Prozent der Mitglieder im Deutschen Bundestag weiblich.
Renger war von 1972 bis 1976 Bundestagspräsidentin und die erste Frau, die dieses Amt innehatte. Rita Süssmuth folgte ihr, sie war von 1988 bis 1998 Präsidentin des Bundestags. Das war es dann bis heute mit den weiblichen Anteilen in diesem Amt.
Warum ich das erzähle? Wegen Rengers Satz „Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?“. Bis heute habe ich nicht darüber nachgedacht. Ich hatte angenommen, dass es vielleicht einfach an der Zeit war und die SPD-Fraktion die Zeichen erkannt hatte.
„Sei wie das Veilchen im Moose …“
Waren Sie als Kind einmal Klassensprecher*in? Ich erinnere mich daran, dass sich zu meiner Schulzeit besonders Mädchen oft selbst nicht wählten. Sie enthielten sich bei der Wahl zur Klassensprecherin (oder enthalten sich heute als Erwachsene, wenn sie zur Elternvertreterin gewählt werden. Achten Sie einmal darauf).
Warum ist das so? Mir kommt ein Spruch in den Sinn, der auch in meinem Poesiealbum stand und den ich nach all den Jahren immer noch auswendig weiß: „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein. Nicht wie die stolze Rose, die stets bewundert will sein.“
Puh. Was soll uns Frauen das sagen? Wer sich selbst zur Klassensprecherin wählt, ist eingebildet? Auch, wer den eigenen Namen in den Ring wirft? Überhaupt jede, die sich zu laut in den Vordergrund drängt! Wie die Rose. Das ist verkürzt, ich weiß, aber diese Botschaft steckt in diesem Spruch.
Meine Küche, mein Kalenderblatt
Meine Woche mit Annegret Renger ist längst vorbei. Weil mir das Kalenderblatt so gut gefällt, habe ich die Woche einfach um einige Tage verlängert. Ich mag es, wenn mir Annemarie Renger zwischen Suppe und Kartoffel zuruft:
Frau, wenn du etwas tun willst, wirf deinen Namen selbst in den Ring. Mach es einfach. Warte nicht darauf, dass es ein anderer tut.
Genau! Und für meine Leser*innen möchte ich noch ergänzen: Bringt euren Töchtern bei, dass sie sich bei der Wahl zur Klassensprecherin selbst wählen.
Danke an den Harenberg-Verlag für die immer wieder wunderbaren Kalender und dafür, dass ich das Kalenderblatt mit Annemarie Renger in diesem Beitrag verwenden darf.
PS: Dieser Beitrag ist nicht gesponsert, ich bin dafür nicht über Los gegangen und bekomme nicht jedes Jahr von Harenberg einen Kalender.
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