„Pirasol“ von Susan Kreller
„Pirasol“ von Susan Kreller ist mein Buch des Monats. Es ist 2017 bei Piper erschienen, seit Dezember 2018 auch als Taschenbuch für 11 Euro zu haben.
Ein erster Blick ins Buch
Pass auf das Haus auf, sagt sie. Der Junge kommt zurück.
Der Junge, fragt die andere und schluckt, begreift es in der Kehle, wo sonst die Angst sitzt und das Schweigen.
Ja, kaut die, die Thea heißt und Zähne hat wie Schilde. Das ist so sicher wie der Tod, der Junge ist wieder in der Stadt.
Wie der Tod, sagst du.
Wie der Tod.
Mit diesem Dialog beginnt der Roman „Pirasol“ von Susan Kreller. Bereits auf dieser ersten Seite offenbart sich die Faszination, die von dem Buch ausgeht. Denn einerseits wird Spannung erzeugt: Wer ist der Junge, wo lauert die Bedrohung? Andererseits zeigt sich hier schon die Schönheit der Sprache, der Susan Kreller gekonnt ihren Lauf lässt.
Worum geht es in „Pirasol“?
Die Autorin erzählt Gwendolin Suhrs Geschichte nicht linear, sondern in der Zeit hin- und herspringend. Als Leser*in folgen wir Gwendolins Gedankengängen. Gwendolin ist über achtzig, Witwe, Mutter eines Sohnes, der nun auch schon über fünfzig ist und doch sein Leben lang der Junge geblieben ist. Erst sehr spät im Buch bekommt er einen Namen.
In der Jetztzeit beginnt das Buch: Am Grab ihres Mannes Willem stehend, denkt Gwendolin über ihn, ihren Sohn, den Tod, das Leben nach. Willem war ein angesehener Bürger des Städtchens, Direktor der Papierfabrik. Ein weiterer Friedhofstag folgt, an dem sie sieht, wie eine fremde Frau – Thea – sich an Willems Grab zu schaffen macht. So lernen sich die beiden Frauen kennen.
Im nächsten Kapitel wohnt die um einige Jahre jüngere Thea bereits bei Gwendolin. Wie konnte dies geschehen? Wie konnte es überhaupt geschehen, dass Gwendolin sich in nahezu allen Lebenslagen die Butter vom Brot nehmen ließ und lässt? Manchmal möchte ich beim Lesen Gwendolin schütteln und ihr ein beherztes „Wehr dich doch!“ zurufen.
Verständnis für Gwendolin
Doch langsam beginne ich Gwendolin zu verstehen. Ich bekomme ein Gefühl für sie, für ihre Nöte, für ihre Beweggründe, ihre Wünsche:
Insgeheim hatte Gwendolin auf einen Schleier aus Papier gehofft, vielleicht auf ein ganzes Kleid, von Willem nach Dienstschluss im Direktorat genäht. Sie hätte sich leicht gefühlt in so einem Kleid …
Das papierne Kleid, Sie ahnen es, hat sich Gwendolin vergebens gewünscht. Es geht in „Pirasol“ nicht nur um ein Menschenleben. Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wird gestreift, es geht um Schuld und Vergebung und auch um den tröstlichen Gedanken, dass es nie zu spät ist, sich zu wehren.
Fazit: „Pirasol“ taucht ein in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dies nahezu nebenbei, denn Gwendolin steht im Mittelpunkt. Endlich. Doch es ist nicht nur die Geschichte, die berührt. Auch die Leichtigkeit der bildhaften Sprache zog mich in den Bann, ein überaus lesenswertes Buch. Danke, Franziska, für diesen tollen Tipp.
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