Blogwichteln – ich liebe es!
Traditionell wird in meinem Lieblingsnetzwerk um das Jahresende herum gewichtelt: Bloggerinnen schenken sich Beiträge, mich hat Sabine Jainski beschenkt. Die Filmemacherin, Journalistin und Übersetzerin dachte über ausgebürgerte Wörter nach. Danke, Sabine, für diesen reizenden Beitrag!
Worte mit Migrationshintergrund
Dies ist das erste Mal, dass ich für die Inhaberin eines Wortladens schreibe, und es ruft die schönsten Wunschträume in mir wach. Ich träume von einem Weihnachtsgeschenk unter einem herrlich geschmückten Baum, so wie früher mein Kinderkaufladen aus den Zeiten meiner Großmutter, dessen Markennamen ich schon nicht mehr kannte und mir deshalb eigene Geschichten dazu ausdachte, von „Ata“ und „Omo“ zu „Omi“ und „Alter“, der Name meines Teddys. So ähnlich stelle ich mir Andreas Laden vor. Ein ganzes Geschäft voller ungewöhnlicher, spannender, anregender Worte, eine Art „Best of“ der labyrinthischen Bibliothek von Babel, die alle nur möglichen Buchstabenkombinationen enthält, wie sie sich Jorge Luis Borges ausgedacht hat.
Aber was schenkt man einer Wortladeninhaberin? Sind Worte hier nicht wie die sprichwörtlichen Eulen, die man keinesfalls nach Athen tragen sollte? Vielleicht, so dachte ich mir, könnte man im Ausland fündig werden, bei den ausgebürgerten, flüchtigen, migrierten Worten, die längst in anderen Ladenregalen als den unseren stehen?
Ich begab mich also auf die Suche nach Souvenirs, „in weiter Ferne so nah“, wie Wim Wenders sagt.
Wir Deutschen sind ja eifrige Importeure fremdsprachiger Ausdrücke, vor allem aus dem Englischen, die inzwischen unsere eigenen Worte in vielen Fachgebieten vollständig verdrängt haben. Andersherum wissen wir aber kaum, dass sich auch andere Sprachen manche deutschen Bezeichnungen gern zu eigen gemacht haben. Wie etwa in Großbritannien, wo sich „Blitzkrieg“ bis heute in den Schlagzeilen der Boulevardpresse großer Beliebtheit erfreut, die aktuelle Kriegsmüdigkeit der Deutschen aber wohl eher unter „German angst“ fällt. Im angloamerikanischen Sprachraum nutzt man aber auch gehaltvollere Germanismen, für die es keine passende englische Übersetzung gibt, wie etwa „Weltanschauung“, „Bildung“, „Gestalt“ oder gar „Weltschmerz“. Hier klingt für unsere Ohren schon fast wehmütig die deutsche Philosophie und Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts an, von Goethes Wilhelm Meister bis zu Humboldts Ideal einer ganzheitlichen Bildung in den Künsten und Wissenschaften. Damals, so Humboldts Wunsch, sollte die Bildung den Menschen zum „Weltbürger“ machen: „Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinn des Wortes Leben“. Glücklicherweise gilt das mittlerweile nicht mehr nur für Männer, sondern auch für Frauen, sofern die Bologna-Reform ihnen irgend Zeit dazu lässt – mit dem ganzheitlichen Bildungsideal ist es an den meisten Unis nicht mehr weit her.
„La Gemütlichkeit“ hat in Frankreich ein Heim gefunden
In Frankreich sorgte der grenzübergreifende Austausch schon früh für manche Wortperle, wie etwa das berühmte „vasistas“, gesprochen „Was ist das?“, das Oberlicht über Fenstern und Türen, das deutschen Besuchern im 18. Jahrhundert offenbar noch unbekannt war. Aber auch „la Gemütlichkeit“ oder „le schnaps“ sind neben dem „kouglof“ („Gugelhupf“) gern gesehene Gäste im Nachbarland, aus „Trinken“ machten sie kurzerhand „trinquer“, „auf etwas anstoßen“. Als ich in den 1990er Jahren in Paris studierte, waren Birkenstock-Sandalen so ziemlich der schlimmste modische Fauxpas – nie hätte ich mir träumen lassen, dass die eleganten Französinnen einmal begeistert solche Ökoschuhe tragen würden, „too much hausfrau“, würde wohl Vivienne Westwood sagen. Aber die Franzosen essen inzwischen „muesli“ und „bio“, trennen sogar den Müll und machen sich Sorgen ums „Waldsterben“. In den 90er Jahren war der „Grüne Punkt“ bestenfalls ein unverständliches, aber irgendwie schickes Designelement – heute widmen sich die hipsten Lokale der deutschen, aber natürlich englisch benannten Lieblingsbeschäftigung, wie etwa La REcyclerie im Norden von Paris.
Überhaupt kommt mir „le zeitgeist“ in Frankreich derzeit häufig so vor, als würde man dort die deutschen 80er Jahre mit ihrer Umweltbewegung im Schnelldurchlauf nachholen: „écolo“, also „öko“, ist hier „le leitmotif“. Auf dem Land sieht man Plakate gegen Fracking und Glyphosat, ja sogar gegen Atomkraft! Wie „l’ersatz“ aussehen soll, ist allerdings noch nicht wirklich klar in einem Land, das den Großteil seines Stroms aus AKW bezieht. Langjährige Besetzerbewegungen wie auf dem Gelände des geplanten Flughafens Notre-Dame-des-Landes erinnern an Brokdorf oder Gorleben. Die letzte Demo war denn auch eine Fahrrad- und Traktordemo, „tracto vélo“, von Nantes bis nach Paris. „What a long schlep!“, meint dazu meine amerikanische Freundin.
Der Lieblingsauswanderer lebt in Japan
Deutsche Ordnung ist ja angeblich weltweit die beste, wenn man aber einmal gesehen hat, wie Japaner vor dem Zug sauber aufgereiht Schlange stehen oder in Paradeformation den Gast im Supermarkt begrüßen, weiß man, dass dies nur eine „Legend“ sein kann. So haben sich die Japaner auch gleich das passende deutsche Wort herausgesucht: „Arubeito“ ist die japanische Version von „Arbeit“, bezeichnet aber vor allem Nebenjobs (das „u“ wird im Japanischen nicht gesprochen, sondern dient lediglich zur Abtrennung von Silben, wenn nach japanischem Empfinden zu viele Konsonanten aufeinandertreffen). Früher gab es sogar eine gleichnamige Zeitung, in der solche Jobs annonciert wurden.
Praktisch auch der „ryukkusakku“, den auch Angelsachsen und andere Nationen als „rucksack“ für die „wanderlust“ eingebürgert haben. Der sagenumwobene „orugasumusu“ ist natürlich schwer zu toppen, aber mein persönliches Lieblingssouvenir stammt aus der Konditorei „Meisterstück Gästeglück“ in Kobe, die u. a. sehr leckeren deutschen Kuchen in japanischen Miniformen herstellt: „Verliebtes Gemüt in die Süßwaren Legend. Sehnsüchtig aber neu: Das ist der Kobe-Stil“. Besser kann man die Käsekuchen-Sehnsucht in Fernost wirklich nicht ausdrücken …
Sabine Jainski ist Filmemacherin, Journalistin und Übersetzerin. 1968 in Köln geboren, studierte sie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Philosophie in Bonn, Paris und Berlin. Sie begann ihre journalistische Laufbahn 1995 als freie Mitarbeiterin beim ARTE-Kulturmagazin Metropolis und berichtete über Kunst, Theater, Literatur und Philosophie für diverse TV-Magazine. Zudem übersetzt sie seit 1994 aus dem Englischen und Französischen Sachbücher, Kunstkataloge und Artikel für Le Monde diplomatique.
1998 traf sie die Produzentin Ilona Kalmbach von competent filmproduktion. Gemeinsam realisierten sie über 30 Dokumentarfilme für ARD, ZDF, ARTE und 3sat: zahlreiche Biografien, mit einem besonderen Schwerpunkt auf Frauen sowie Gesellschafts‐ und Wirtschafts‐Dokumentationen. Für ihre Arbeit erhielten sie den Juliane-Bartel-Medienpreis 2011 für ihr Porträt der Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Seyran Ates und den Deutsch-Französischen Journalistenpreis 2014 für die ARTE-Dokumentation „Superfrauen gesucht: Im Spagat zwischen Arbeit, Kindern und Pflege der Eltern“.
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